Freitag, August 22, 2025

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Le Plasker – Ein neues Puzzlestück im Megalith-Komplex von Carnac

Zwischen der Bucht von Quiberon und dem offenen Atlantik liegt eine der rätselhaftesten Kulturlandschaften Europas: der Megalithkomplex von Carnac in der Bretagne. Tausende aufrecht stehende Steine reihen sich über viele Kilometer, teils in geraden Linien, teils in geometrischen Anordnungen, und ziehen seit Jahrhunderten Forschende wie Reisende in ihren Bann. Nun hat eine Entdeckung im Ort Plouharnel – nur zwei Kilometer westlich der bekannten Steinreihen von Le Ménec – das Bild dieser prähistorischen Landschaft entscheidend erweitert.

Im Herbst 2020 begannen Archäolog:innen unter der Leitung von Audrey Blanchard mit einer Rettungsgrabung, da auf dem Gelände ein Gewerbepark entstehen sollte. Innerhalb von drei Monaten stießen sie auf eine Reihe von Strukturen, die über Jahrtausende hinweg genutzt worden waren. Die ältesten Spuren reichen in die Zeit um 5700 v. Chr. zurück und gehören zum späten Mesolithikum: ein ovaler Graben, vermutlich der Grundriss einer Hütte, umgeben von mehreren kleineren Monolithen. Etwa 300 Jahre später, zu Beginn des Mittelneolithikums, wurde die Stelle erneut aufgesucht – und dabei in einer Weise umgestaltet, die für die Region einzigartig ist.

Über den Resten der mesolithischen Anlage errichtete man ein kleines, aber monumentales Grab. Ein niedriger Rundhügel, nur gut drei Meter im Durchmesser, bedeckte eine rechteckige Steinkiste, in der wohl eine Einzelperson mit stark angezogenen Beinen bestattet war. Organisches Material ist im sauren Boden der Bretagne nicht erhalten geblieben, weder Knochen noch Beigaben. Dennoch lässt sich anhand von Holzkohleproben und der Bauweise eine präzise Datierung um 4720 v. Chr. vornehmen. Rund um das Grab platzierte man große, flache Granitblöcke, die aus mehreren Kilometern Entfernung herangeschafft wurden. Offenbar sollte so eine natürliche Felslandschaft nachgebildet werden – eine bewusste Inszenierung, die das Grab in eine symbolisch aufgeladene Umgebung einbettete.

Nur wenige Jahrzehnte später begannen neue Bautätigkeiten: Entlang der Kammhöhe oberhalb des Grabes wurden große Menhire aufgestellt, in mehreren Reihen mit Nord-Süd-Ausrichtung. Die Steine selbst fehlen heute, doch ihre Fundamentgruben sind noch vorhanden – beeindruckend große Vertiefungen von rund 1,8 Metern Durchmesser, gefüllt mit Keilsteinen, die das Aufrichten der teils wohl über drei Meter hohen Blöcke ermöglichten. Zwischen diesen Fundamenten fanden sich Feuerstellen, gefüllt mit erhitzten Steinen. Ob sie dem Kochen von Speisen dienten, bei Gemeinschaftsfeiern genutzt wurden oder dazu, die Steine in der Dunkelheit zu beleuchten, bleibt offen. Die regelmäßige Anordnung mancher Feuerstellen entlang der Steinreihen legt zumindest nahe, dass sie integraler Bestandteil der Anlage waren.

Moderne Radiokarbonanalysen von 49 Proben, kombiniert mit einer statistischen Auswertung, erlaubten eine ungewöhnlich genaue Rekonstruktion der Bauphasen. Nach dem Grab um 4720 v. Chr. folgten zwischen etwa 4660 und 4250 v. Chr. mehrere Ausbauschritte, bei denen neue Steinreihen und Feuerstellen hinzukamen. Insgesamt war der Platz rund 300 Jahre lang immer wieder in Gebrauch – ein klares Zeichen dafür, dass die Schaffung dieser monumentalen Landschaft kein einmaliges Ereignis war, sondern ein generationenübergreifendes Gemeinschaftsprojekt.

Die Entdeckung von Le Plasker fügt sich nahtlos in das größere Bild des Carnac-Komplexes ein: ein nahezu durchgehender Strang von Steinreihen, der sich über zehn Kilometer von La Trinité-sur-Mer bis Erdeven zieht. Die neu gefundenen Strukturen belegen nicht nur, dass die Bretagne zu den frühesten Zentren der Megalithkultur in Europa gehörte, sondern zeigen auch, wie vielfältig und dynamisch sich diese Kulturlandschaft entwickelte. Das Nebeneinander von Grab, Steinreihen und Feuerstellen verweist auf eine komplexe Nutzung – religiös, rituell, vielleicht auch sozial – und macht deutlich, dass diese Monumente nicht stumm in der Landschaft standen, sondern Teil eines lebendigen kulturellen Geschehens waren, sichtbar vom Land wie vom Meer.

So erzählt Le Plasker von einer Zeit, in der Menschen begannen, ihre Umwelt dauerhaft zu gestalten, Landschaft in Symbol und Monument zu verwandeln – und dabei Spuren zu hinterlassen, die noch fünfeinhalb Jahrtausende später von uns gelesen werden können.

Quelle: Blanchard A, Guyodo J-N, Paulsson BS, Montassier F. Le Plasker in Plouharnel (fifth millennium cal BC): a newly discovered section of the megalithic complex of Carnac. Antiquity. 2025;99(406):915-934. doi:10.15184/aqy.2025.10123

Andreas Zommer
Andreas Zommerhttps://antike.at
Andreas Zommer ist studierter Historiker, Politikwissenschaftler und Publizist.

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