Donnerstag, Jänner 9, 2025

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Uralte Steinprojektil-Technologie: Hinweise auf frühen Technologietransfer und Migration zwischen Europa und dem Nahen Osten

Forscherinnen des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI) und der Hebräischen Universität Jerusalem haben bemerkenswerte Ähnlichkeiten in der Herstellung von steinzeitlichen Projektilen in Europa und Israel entdeckt. Diese Entdeckung deutet auf einen frühen Technologietransfer hin und möglicherweise sogar auf Migrationsbewegungen von Europa in den östlichen Mittelmeerraum.

Für steinzeitliche Gemeinschaften war die Verfügbarkeit zuverlässiger Jagdwaffen entscheidend für das Überleben. Ohne Kenntnisse der Metallverarbeitung mussten die Menschen auf Steinwaffen zurückgreifen. Vor über 40.000 Jahren entwickelte sich in Europa eine neue Technologie zur Herstellung spezieller, kleiner Waffenspitzen, den sogenannten „Dufour-Lamellen“.

Diese winzigen, aus Feuerstein gefertigten Projektile wurden in einem aufwendigen Prozess hergestellt. Feuerstein-Knollen wurden von Rinden und Einschlüssen befreit und dann in eine spitz zulaufende Form geschlagen. Diese Form, bekannt als Kielgerät, ermöglichte die Herstellung der gewünschten „Dufour-Lamellen“. Diese neuen Waffenspitzen waren kleiner und leichter als ihre Vorgänger und konnten in mehrfacher Anzahl auf einzelne hölzerne Speerschafte montiert werden.

Revolutionäre Jagdtechnologie

In einer kürzlich in der Fachzeitschrift PLOS ONE veröffentlichten Studie stellen Hannah Rohringer vom ÖAI und Anna Belfer-Cohen von der Hebräischen Universität Jerusalem die Hypothese auf, dass die Verbreitung dieser Projektile eng mit der Einführung der Speerschleuder verbunden war. Diese Waffe, ein einfacher Hebel, verlieh dem Speer zusätzlichen Schub und erhöhte die Reichweite der Jäger auf bis zu 250 Meter. Voraussetzung für treffsichere Jagden waren jedoch leichte und scharfe Speerspitzen, die die „Dufour-Lamellen“ boten.

Die ausgefeilte Technik der Kielgeräte-Herstellung aus Feuerstein stellte für die steinzeitlichen Gemeinschaften einen Wendepunkt dar. Sie ermöglichte das Erjagen von Beutetieren aus größerer Distanz und machte die Jagd somit sicherer. Diese Methode war so erfolgreich, dass sie als charakteristisch für die Aurignacien-Kultur gilt.

Technologietransfer über das Mittelmeer

Aufgrund ihrer Vorzüge breitete sich das Wissen über die Bearbeitung von Feuerstein und die Herstellung der „Dufour-Lamellen“ rasch aus. Auch im Nahen Osten wurden vergleichbare Steingeräte gefunden. Lange war jedoch umstritten, ob sie auf die gleiche Weise hergestellt wurden. Rohringer und Belfer-Cohen konnten dies nun erstmals beweisen.

Die Forscherinnen analysierten Material aus der Hayonim-Höhle in Israel und entdeckten dort Spuren derselben Produktionsabfälle, die auch in Europa zu finden sind. Ihre Analysen zeigen, dass diese Kielgeräte vor 34.000 bis 38.000 Jahren auf die gleiche Weise wie in Europa bearbeitet wurden, um dieselben Waffenspitzen zu erzeugen. Dies deutet darauf hin, dass das Wissen über diese Technologie einige Jahrtausende nach seiner Verbreitung in Europa auch den östlichen Mittelmeerraum erreichte.

„Die Herstellungstechnik von Kielgeräten ist in Europa und der Levante identisch, wir haben alle Nachweise dafür erbringen können“, so Rohringer. „Damit kann auch ein enger kultureller Zusammenhang zwischen dem europäischen und levantinischen Aurignacien unterstrichen werden.“

Neue Forschungsfragen

Diese Entdeckung wirft neue Fragen auf, wie Rohringer erläutert. Besonders spannend ist die Überlegung, wie dieses Wissen Tausende Kilometer überwinden konnte. „Die Frage ist“, so die Archäologin, „ob es sich hierbei um eine Migration von Menschen oder von Ideen handelt, möglicherweise sogar um eine Rückmigration von Menschen aus Europa in den östlichen Mittelmeerraum.“

Um diese Fragen zu beantworten, sind weitere Forschungen an Fundorten entlang des Donaukorridors geplant. Auch in Österreich sollen bedeutende Fundstellen aus dem Aurignacien untersucht werden, um eine breitere Datenbasis zu schaffen und weitere Erkenntnisse über diese faszinierende Periode der Menschheitsgeschichte zu gewinnen.

Andreas Zommer
Andreas Zommerhttps://antike.at
Andreas Zommer ist studierter Historiker, Politikwissenschaftler und Publizist.

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